Vor langer Zeit lebte in einem Fischerdorf Ian. Seine Eltern waren früh verstorben und Geschwister hatte er keine. Ian fühlte sich einsam und von der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen, seine einzige große Liebe galt den Tieren. Obgleich er kein eigenes Haustier besaß, wussten die Leute bei ihm Rat, wenn eines ihrer Tiere krank war. Daher wurde Ian oft gerufen, wenn eine Stute fohlte, eine Kuh kalbte oder der Hund sich die Pfote verletzt hatte. Die Leute aus dem Dorf zahlten Ians Dienste in Naturalien. Ian betrieb auch direkt neben seinem Haus, welches auf einer Klippe stand, den Leuchtturm. Anders ausgedrückt, Ian betäubte seine Leere mit Beschäftigungen und wenn er die Arbeit erledigt und sonst nichts mehr zu tun hatte, spielte er Klavier. Dieses Musikinstrument ist, neben dem Haus, das einzige Erbstück seiner Eltern gewesen und in manchen, stürmischen Nächten seine Zuflucht.

Heute Nacht ist auch wieder einmal die See tosend und der Regen peitschend gewesen. Ian wurde vom pfeifenden Wind geweckt und ist sofort alarmiert gewesen. Er erhob sich aus seinem Bett und stolperte an den Waschtisch. Ian goss sich, das mittlerweile eisige Wasser aus dem Krug ins Waschbecken. Tief tauchte er sein verschlafenes Gesicht ins kalte Nass, um danach hellwach auf den Leuchtturm zu klettern. Er bekam kaum die Türe auf, solch eine Windstärke hatte der Sturm. Die Gischt schlug hoch an die Klippen. Ian hatte Mühe vom Haus zum Leuchtturm zu gelangen, da die Stärke des Luftelementes ihn zurückdrückte. Ian war froh darüber dass dereinst sein Vater dafür gesorgt hatte, den Leuchtturm aus Stein und Kitt aufbauen zu lassen. Die alten Leuchttürme gerieten oft in Brand bei solchen Stürmen. Inzwischen war Ian am Turm angekommen und öffnete mit sehr viel Kraft die Türe. Damit er in der Düsternis etwas sah, griff er nach der Petroleumlampe, welche stets griffbereit auf der untersten Stufe der Turmwendeltreppe stand. Inständig hoffte Ian, dass seine Schwefelhölzer trocken geblieben sind. Mit klammen Händen entzündete er das kleine Stückchen Holz und diesmal war Fortuna auf seiner Seite. Ein Zischen, ein Funken und das Hölzchen leuchtete auf. Schnell öffnete Ian das Glastürchen der Lampe und hielt das Schwefelhölzchen an den Docht. Es wurde Licht!!!

Bedacht stieg Ian die knarrenden Stufen empor, denn die Wedeltreppe war aus dem Holz, alter Schiffe. Was einst Blanken und Bohlen gewesen sind, wurde stets von der Dorfbevölkerung wiederverwendet, denn Baumaterialien waren teuer in ihrer Anschaffung. Oben angekommen, bemerkte Ian wie die Flamme des Leuchtturmlichtes züngelte. Hier oben bekam Ian erneut die geballte Ladung Wind ab, da auch Glas ein extrem teuerer Stoff in der Herstellung und Fertigung war, schützte nur der Behälter aus Glas das Licht, welches den Schiffen auf dem Meer anzeigte wo Land ist. Die Wellen nahmen an Höhe und Energie zu. Nun hatte Ian die Gewissheit, es ist eine Sturmflut. Er schaute nach unten zu seinem Haus, danach schweifte sein Blick über den Wald, sowie das Dorf. Trotz des Windes vernahm er in der Ferne wie die Hunde bellten und die Menschen sich gegenseitig zu riefen. Also ist auch das Dorf auf den Beinen gewesen. Er musste die Schiffe da draußen auf dem Meer warnen, nicht dass diese zu dicht an Land fahren. Sie könnten zerschellen!

Die Wellen schlugen immer höher, die Windstärke nahm zu. Ian fiel es schwer zu atmen. Inzwischen sind auch die Schafherden von der Sturmflut überrascht worden. Panisches Blöcken drang an Ians Ohr und er musste mit ansehen wie die Tiere mit der Flut weggerissen wurden. Die menschlichen Schreie und die bedrückenden Tierlaute, sorgten gemeinsam mit dem pfeifenden Sturm für eine nicht enden wollende Kakophonie. Ian hörte laut und deutlich wie Stein und Holz krachte. Er kämpfte sich oben auf dem Turm gegen den Sturm und das Wasser zur anderen Seite des Leuchtturms durch und besah sich die Katastrophe – sein Haus in dem er aufgewachsen und mit seinen Eltern gelebt hatte, war zerstört. Doch an seine Tragödie durfte er jetzt nicht denken, er musste stark bleiben und für das Dorf, sowie die Schiffe und deren Besatzung. „Wenn es einen Gott gibt, dann wird er wissen weshalb er dies tut!“ Schrie er gegen den Sturm, zornesrot brannten seine Augen. Im selben Moment wie sich Ian umdrehte, um nach dem Feuer zusehen riss ihn eine enorme Flutwelle aus dem Turm.

Finsternis … Kälte … die erdrückende Last des tosenden Wassers. Ian erlangte sein Bewusstsein zurück. Er wusste nicht wo er war, noch was geschehen ist, aber er wusste er muss kämpfen – doch wofür – hatte er in dieser Nacht alles verloren was er besaß. Die Welle drückte ihn unters Wasser. Das Salz des Meeres brannte in seinen Lungen. Ian glaubte zwischen Leben und Tod zu sein. Kaum dass er sich seinem Schicksal ergeben hat, trug ihn eine sich aufbauende Welle wieder nach oben. Luft! Ian probierte trotz der Schmerzen in seiner Brust zu atmen. Automatisch strampelten seine Beine, um an der Wasseroberfläche zu bleiben. Seine Arme ruderten ohne zu wissen welche Richtung sie wählen sollten. Ian schaute in den Himmel, doch dieser war grau und wolkenverhangen. Es leuchtete ihm kein Licht in der Dunkelheit. Wütend reckte er seine rechte Faust zum Himmel und schimpfte: „Du hast geschafft! Bist du nun zufrieden GOTT?“ Erneut erfasste Ian eine Welle und auf einmal war er einem Spielball gleich im Wasser. Wo war oben? Wo war unten? Oder oben so wie unten? Alles … wirklich absolut alles … stand Kopf. Sein Leben lang hatte Ian gezaudert, er war noch immer alleine und so würde er nun sterben. „Sei `s drum dann sterbe ich einsam und alleine! Du hast gewonnen Gott.“ Dachte Ian und überließ sich seinem Schicksal, er gab auf! Wiederholt baute sich eine Welle auf. Diese Monsterwelle trug Ian ganz nach oben. Ian wollte tapfer seinem Tod entgegenblicken und da öffnete sich bereits der Himmel. Licht brach durch die dicke Wolkendecke. Golden und warm strahlte es aus der anderen, fernen Welt. Die Welle neigte sich und Ian fiel in die Tiefe, während das himmlische Licht noch immer strahlte. Der Sturz schien kein Ende nehmen zu wollen. Ians Herz klopfte wild, so als springe es gleich aus seinem Körper. Grob umfassten ihn auf einmal zwei starke Männerarme und raunte an sein Ohr: „Ich hab dich. Beruhige dich Ian, du bist nun sicher!“ Ian staunte, das Licht leuchtete nicht mehr, stattdessen zuckten Blitze durch die Wolken und andere verloren sich an der Meeresoberfläche. Jetzt erst realisierte Ian dass er flog. Die Neugierde überwältigte ihn, er möchte seinen Retter sehen. Als der Retter bemerkte wie sein Schützling unruhig wurde, bannte er Ian.

Der Retter brachte Ian an Land und löste den Bann. Ians Lider zuckten, seine Lippen waren spröde und aufgesprungen. Ian reckte und streckte sich, dann machte er schlagartig seine Augen auf. Und was Ian erblickte war das schönste was er jemals in seinem Leben sah. Ein Mann, groß und muskulös, sein Gesicht göttlich und goldenes, lockiges Haar das ihm über die Schultern fiel. Ian stockte der Atem, dann trafen sich die beiden Augenpaare, das Blau Ians und die Bernsteine des Engels. Sein Retter war ein Engel. Die Sonne ging eben hinter dem Engel auf und damit wirkte er noch majestätischer. „Ich bin Sariel, Ian!“ Stellte sich sein Retter vor, Ian entgegnete: „Woher kennst du meinen Namen S… Sa… Sariel?“ Bei jedem Wort das der Engel sprach kam er einen Schritt näher auf Ian zu: „Ich habe dich dein Leben lang begleitet und deine Sehnsucht gespürt – die Sehnsucht die niemand zu stillen vermag.“ Stolz, schön und schimmernd stand Sariel vor Ian, sein güldener Harnisch glänzte genauso wie sein Haar. Ian behagte es nicht dass dieser Sariel anscheinend sein ganzes Dasein überwacht hatte und seine geheimsten Wünsche kannte. „Woher kommst du und was bist du?“ Fragte ohne Angst in seiner Stimme Ian und diesmal sagte Sariel ganz direkt zu Ian: „Ich bin ein Seraphim, ein Engel der Liebe und meine Heimat ist nicht von dieser Welt. Wovor fürchtest du dich, Ian?“ Nun rappelte sich Ian auf und erhob sich vom Erdboden. Während er sich den Dreck von seiner Kleidung klopfte, fiel ihm auf dass er nicht mehr in England gewesen ist. „Wo hast du mich hingebracht, Sariel?“ Der Engel antwortete ihm: „Zu aller erst in Sicherheit. Zum Zweiten in die Freiheit, denn die Enge deiner Heimat erdrückt dich und drittens, um dich deiner Persönlichkeit zu stellen an einen anderen Ort. Jedoch hast du meine Frage noch immer nicht beantwortet! Wovor fürchtest du dich?“ Ian war von normaler körperlicher Gestalt, dennoch ist sein Äußeres sehr anziehend gewesen. Seine schwarzen Haare, welche ihm wirr ins Gesicht hingen und die dunkelblauen Augen, die einen magischen Kontrast zu seiner hellen Haut bildeten – ein adretter Mann. Jetzt war sein Gesicht allerdings zornesrot und barsch schleuderte er seinem Retter folgende Worte ins Gesicht: „Wenn du mich ohnehin mein Leben lang schon begleitest, dann weißt du doch was mich bewegt und welche Sünde in meinem Herzen brennt.“ Sariel sagte sanft zu ihm: „Ja, ich kenne deine Geheimnisse, aber ich will es hören! Außerdem Ian ist das was du fühlst keine Sünde.“ Der Engel ging die verbleibenden Schritte auf Ian zu und mit seinen feurigen Lippen berührte er die blassen, trockenen Lippen Ians. Ian rang mit sich, er würde sich nicht hinreißen lassen. Sariel spürte die ablehnende Haltung Ians, darum machte er einige Schritte von ihm weg – aus dem Blickfeld Ians, aber dennoch hinter Ian. Der junge Mann aus dem Fischerdorf, der alles verloren hatte, blieb stolz und unbeugsam. Sariel der sowie so eine Haupteslänge größer gewesen ist wie Ian, umfasste nun den Jüngling. Der Engel wisperte an Ians Ohr: „Gib deinem Verlangen nach! Nur dieses eine mal!“ Obwohl Sariel sich inzwischen an Ian angeschmiegt hatte und der Seraphim den Nacken des jungen Mannes mit seinen Lippen liebkoste, stand Ian reglos mit geballten Fäusten da. Plötzlich brach es aus Ian heraus: „Lass ab von mir, Verführer! Weiche Satan! Weiche!“ Sariels Flügel sorgten für eine weitere Umarmung, denn nun war Ian eingehüllt. Gehalten von den Armen des Engels und geborgen von den Flügeln. Tränen rannen über Ians blasses Gesicht. „Bitte, lass ab von mir!“ Bat zitternd Ian, aber Sariel ließ nicht locker: „Weder arbeite ich für den Teufel, noch bin ich er. Küss mich, Ian! Küss mich und zeige mir dass ich falsch liege in meinem Wissen!“ Plötzlich drehte sich Ian innerhalb der Engelsumarmung um und gab Sariel den geforderten Kuss. Wirklich alles war in Ians Kuss enthalten, Wut, Zorn, Hass, aber auch Liebe und unterdrückte Leidenschaft, sowie zügelloses Verlangen. Ians Zunge erkundete Sariels Engelsmundhöhle, er schmeckte so süß. Ian ist in einem Rausch der Gefühle gewesen und darum erlaubte sich Sariel Ians Hals mit heißen Küssen zu fluten. Die Finger des Engels wanderten den Rücken von Ian abwärts und glitten seine Arme aufwärts. Als Sariel die Schultern von Ian erreichte, begann er diese zu kneten. Urplötzlich riss sich Ian los und mit großen, fragenden Augen schaute er in die Bernsteinaugen Sariels. Schwer atmend fragte er den Seraphim: „Warum tust du mir dies an?“ Selbstgefällig lächelte der Engel seinen Schützling an: „Ich erlöse dich! Der einzige der dich quält bist du selbst, Ian. Du widerstrebst deinem eigenen Dasein und der einzige Grund liegt darin, dass du einer Lüge zum Opfer gefallen bist. Du liebst Männer und du fürchtest dich davor, weil du irgendeiner seltsamen Lehre angehörst. Die Liebe ist etwas Universelles und niemand hat das Recht die Liebe mit Füßen zu treten. Bevor die Seele ein Erdengewand bekommt, sind alle gleich. Es gibt weder männlich noch weiblich, einzig die Liebe herrscht. Jetzt bist du ein Mann, im nächsten Leben könntest du eine Frau sein, aber was unseren Tod und unsere Geburt überdauert ist die Liebe.“

Verständnislos schaute Ian den Engel an, der ihn vor Stunden vor dem sicheren Tod bewahrt hatte. Kopfschüttelnd argumentierte Ian: „Sariel, vielleicht ist das ja in deiner Welt so, auf der Erde sind die Ansichten über Mann und Frau, sowie Männer wie mir ganz anders. Bitte bring mich zurück, dahin woher ich komme!“ „Dorthin, wo du alles verloren hast und nichts mehr dein Eigen nennen kannst? Dahin wo du nicht sein darfst, wer du schon immer sein wolltest? Ein ausgegrenzter, der zwar die Tiere heilt und die Menschen in ihrer Allgemeinheit liebt, aber einsam ist. Am Sonntag besuchst du die heilige Messe und junge, hübsche Mädchen aus deinem Dorf werfen dir verliebte Blicke zu, jedoch erhörst du nicht die Mädchen, noch erwiderst du ihre scheuen Blicke. Eines Tages wirst du krank werden, Ian, wegen unerfüllter Liebe! Aber gut, du wünscht es so.“ Spuckte ihm Sariel die Worte ins Gesicht, dann hob er seine Flügel, ergriff Ian und flog den jungen Mann ins Fischerdorf zurück.

Monate vergingen bis Normalität ins sturmgeschädigte Fischerdorf zurückkehrte. Die Menschen hatten alle Hände voll zu tun, die Toten mussten begraben und betrauert werden. Es gab Häuser die noch halb standen, von anderen blieben nur die Grundmauern übrig. In der Zwischenzeit passierte dennoch viel und das Leben preschte voran, im Dorf wurden Tiere und Säuglinge geboren. Die Fischer fuhren aufs Meer hinaus um von ihrem Fang zu leben. Die Bauern bestellten ihr Land und versorgten ihr Vieh. Bis der Leuchtturm wieder errichtet war, wohnte Ian bei der alten Witwe Smith. Ihr Sohn und ihre Schwiegertochter bewirteten den Hof. Da Ian nichts hatte womit er hätte Miete zahlen können, arbeitete er mit. Für den Leuchtturm musste er nicht aufkommen, dass sagte zumindest der Ortsvorsteher, schließlich profitiert die Dorfbevölkerung davon. Abends, wenn Ian vom Tagwerk müde war und seine rauen Hände weh taten, las er der Witwe Smith noch aus der Zeitung vor, denn ihre Augen sind von der Vielzahl ihrer Jahre trübe geworden.

„Es wird schon wieder werden. So lauteten die positiven Worte des Gouverneurs.“ Beendete Ian den Artikel, welcher er der Witwe vorgelesen hatte. Mit belegter Stimme krächzte die Alte: „Danke Ian, das ist wieder mal lieb von dir gewesen, mir die Neuigkeiten vorzulesen. Sag, was bedrückt dich? Seit Tagen schon spüre ich die Schwere deines Herzens.“ „Ach, Mrs. Smith, was soll ich Ihnen antworten, Sie wissen um meine prekäre Situation. Aber selbst der Gouverneur ist zuversichtlich, dass unser Dorf wieder so schön werden wird, wie es einst gewesen ist.“ Lenkte Ian vom eigentlichen Thema ab, doch die alte Witwe ließ sich nicht beirren: „Du hast einen schweren Liebeskummer, Ian. Und meine Enkelin bereitet dir kein Kopfzerbrechen, sondern ein anderer. Das weiß ich! Ich bin alt und fast blind, aber nicht blöd. Wie heißt er, kenne ich ihn?“ Ian war baff, woher wusste die alte Smith davon. Er wollte es dementieren: „Untersteht Euch Mrs. Smith! Was Ihr mir andichten wollt ist infam.“ Aber sie lächelte nur, dann meinte die Witwe: „Nein Ian, es ist nicht gemein von mir, weißt du als ich ein junges Mädchen war, hat sich mein Herz auch verirrt – so glaubte ich. Meine Eltern schämten sich in Grund und Boden für mich, als sie mich mit unserer Magd in der Tenne fanden. Sie jagten Mathilda davon und zwangen mir die Ehe mit dem Smiths Erben auf. Mein ganzes Leben hab ich mich einer Lüge hingegeben, einzig dass die Gesellschaft froh und guter Dinge blieb. Nach dem Vollzug der Ehe sperrte ich meinen Gemahl aus und der einzige Beweis dieser unglücklichen Ehe ist mein Sohn. Etwa vier Jahre nach meiner Hochzeit, bin ich auf den Viehmarkt in der nächsten größeren Stadt gewesen, als Vertretung für meinen damals kranken Gemahl – da sah ich sie – Mathilda. Von da an fuhr ich jedes Jahr zum Viehmarkt, ob mit oder ohne meinen Gatten, meine Anwesenheit trug einen Namen – Mathilda. Wenn die Männer am saufen und spielen waren oder sich die „Damen“ leisteten, welche so viel wie ein Wochenlohn kosteten, trafen wir uns im höchsten Zimmer des viel zu vollen Gasthauses. Das war mein Frühling und mein Sommer, jedoch traf mich der Schlag vor beinahe 30 Jahren. Ich sah sie nicht! Nicht auf dem Viehmarkt, nicht im Gasthaus. Bei ihrem Herrn fragte ich nach ihr und ich erfuhr, dass sie im Winter einer heimtückischen Lungenentzündung erlag. Ich spürte ihren Tod, Mathildas Herr erzählte mir sie schloss am Neujahrestag ihre Augen, an genau diesem Tag erlitt ich eine Herzattacke. Junge, Ian, mach nicht denselben Fehler wie ich, bitte!“ Ian traten Tränen in die Augen, dann ließ er seinem Kummer freien Lauf und erzählte der Witwe Smith, wie es um sein Herz bestellt ist. Allerdings verschwieg er ihr dass sein geliebter Sariel ein Engel ist.

Weitere Wochen zogen ins Land und Ian litt immer mehr, er magerte ab und seine blauen Augen verloren an Glanz. An einem warmen Sommermorgen zog es ihn aus seinem Bett ins Freie. Ian lief durchs taunasse Gras und glaubte Liebe zu atmen, mit jedem Luftzug bebten seine Lungen und sein Herz flatterte wie ein Schmetterling. Die Sonne begann eben auf zu gehen und mit ihren Strahlen, brachte sie den Tau zum glitzern. Ian fühlte sich umarmt und seltsam geborgen, eine Stimme flüsterte an sein Ohr: „Wie habe ich dich vermisst. Aber wie tut es mir weh, dich so leiden zu sehen.“ Ian drehte sich zur Stimme um, jedoch war da niemand. Nun begann der junge Mann an seinem Verstand zu zweifeln. Erschüttert über seine Sehnsucht, machte er kehrt und ging zum Hof der Smiths zurück, ohnehin würde sein Tagwerk bald beginnen.

So ging das einige Tage, des morgens, vor Sonnenaufgang, zog es ihn raus. Ian wurde von einem unsichtbaren Wesen umarmt und liebkost, dann ging er schweren Herzens retour.

Während eines Gewitters suchte Ian Schutz in einer kleinen Kapelle. Er wurde sprichwörtlich überrascht. Nachdem er die Ziegen verlassen hatte, welche unterhalb des Waldes zum Grasen angesiedelt wurden, durchquerte er den Wald. Die Smiths hatten ihn am Morgen mit der Herde zum eingezäunten Anger beordert und nun grollte es über ihm. Die ersten Blitze zuckten und einzelne, große Tropfen fanden trotz des dichten Laubdaches ihren Weg zum Boden. Ian wusste das Gewitter im Wald tödlich enden können, weil nasses Holz leitet. Als rettende Idee kam ihm dabei die kleine, steinerne Kapelle in den Sinn.

Er hatte wirklich Glück gehabt, denn soeben trat er in die Kapelle ein, als es draußen zu gießen anfing. In dem Raum hätten etwa zehn Menschen Platz gefunden, aber nun war er froh alleine zu sein. Dunkel ist es gewesen und wenn ein Blitz für einen Moment die Kapelle erleuchtete, glaubte er dass die Heiligen leben. Jesus schaute mitleidig vom Kreuz. Maria hielt eine weiße Lilie an sich gedrückt und blickte verklärt in den Himmel. Josef trug den etwa vierjährigen Jesus auf dem Arm und schaute betrübt ins Weite. Der heilige Michael erhob sein Schwert zum Todesstoß gegen den Teufel. Ian schreckte beim letzten Bild zusammen, darum beschloss er nach Schwefelhölzern zu suchen und die Kerzen zu entzünden. Er wurde fündig und machte Licht. Im matten Kerzenlicht betrachtete er die Bilder genauer, vor allem das des heiligen Michael. Ein männlicher Engel mit römischer Rüstung und großen weißen Flügeln – Sariel! Er, Ian, dachte schon wieder an Sariel. Weinend kniete er sich vor den Altar und begann zu beten: „Herr, verbanne ihn aus meinem Herzen! Ich flehe dich darum an, bitte!“ Als er sich der Kontemplation hingab und mittlerweile in einen Singsang seiner Litanei verfallen war, leuchtete hinter ihm ein helles Licht auf. Sariel schritt vorsichtig auf ihn zu. Ian kniete noch immer vor dem Altar und betete. Der Seraphim war lautlos, dennoch verriet ihn sein Duft – Weihrauch, Vanille. Ian beendete sein Gebrabbel, wendete sich dem Engel aber nicht zu, stattdessen fragte der junge Mann: „Warum kommst du – Sariel?“ Milde lächelnd antwortete Sariel: „Ian, um dich endlich zu erlösen!“ Energisch erhob sich Ian und drehte sich mit einem Ruck zum Engel um: „Verschwinde, Verführer!“ Jedoch ließ sich Sariel nicht die Tür weisen, schon gar nicht auf geweihtem Grund und Boden. „Ach Ian, hatten wir dieses Gespräch nicht schon einmal? Du langweilst mich … dabei hast du meine Gunst und das will was heißen, immerhin bin ich ein Engel!“ Konterte Sariel. Ian wollte stolz auf sich sein und begann den Engel aufs Übelste zu beleidigen. Der Seraphim sah nur eine Möglichkeit, er musste den Unvernünftigen zur Räson bringen, darum hielt Sariel Ian fest und küsste ihn. Dieser Kuss war so verheißungsvoll, dennoch kämpfte Ian mit sich. Als Sariel Ians Mund freigab zum atmen, meinte er: „Bitte Liebster, höre auf damit dich zu wehren! Ergib dich mir!“ Ian sagte gar nichts mehr, seine Antwort ist jetzt ein williges JA gewesen, indem er Sariel küsste. Der Seraphim nutze diese Gelegenheit und entkleidete den jungen Mann, dann hob er ihn auf seine Arme und lud seine süße Fracht auf dem Altar ab. Mit einem Zauber sorgte der Engel dafür dass auch sein Harnisch, sowie die Toga null und nichtig waren. Zur gleichen Zeit herrschte draußen eine Weltuntergangsstimmung. Sariel begann Ians Füße zu liebkosen, während des Engels Hände die Waden und die Oberschenkel hoch wanderten. Ian begehrte ein letztes Mal auf, aber seine Zweifel ebbten ab, als Sariels Lippen Ians pralle Männlichkeit umschlossen. Sariels Zunge umkreiste die erregierte Spitze Ians, der junge Mann stöhnte unter den fachkundigen Zungenschlägen. Dazwischen saugte Sariel an Ians Männlichkeit. Ian hörte sprichwörtlich alle Engel singen, er schwebte zwischen Leben und Tod. „Mein schöner Ian“, sagte Sariel als er seinen Günstling betrachtete, „du wolltest wirklich auf diesen Genuss verzichten – ein Leben lang? Soll ich dich nun in der Feuersbrunst zurücklassen oder dich erlösen?“ Ians Lippen bebten, er stützte sich auf um Sariel fest in die Augen zu sehen und meinte: „Sariel, erlöse mich!“ Erneut küsste der Seraphim Ians Lippen, nur ist diesmal die Leidenschaft gezügelt gewesen, dafür zeugte dieser Kuss von Liebe. Sariels Lippen küssten sich einen heissen Weg vom linken zum rechten Schlüsselbein, des Engels Zähne nagten an Ians Brustwarzen, schließlich spielte die Engelszunge mit Ians Bauchnabel. Die Hüften des jungen Mannes zuckten, er wollte wieder in die Geborgenheit des Engelmundes. Sariel erhörte sein Flehen und die Mundhöhle des Seraphim hob und senkte sich in einem immer schnelleren Rhythmus. Ians Herz pochte ein wildes Stakkato. Mit jedem neuerlichen Eindringen in Sariels Mund fiel Ian tiefer und tiefer… er fiel und da war nichts das ihn hielt. Es ist das reinste Chaos und das größte Glück zugleich gewesen. Als Ian das letzte Tor zur Unendlichkeit erreicht hatte, bäumte sich sein Körper auf. Nun war er zum Vulkan geworden, ob seiner Eruption. Bis Ians Atem und sein Herzschlag sich regulierte, streichelte Sariel ihn zärtlich. Dann drehte er Ian auf dem Altar um und eroberte ihn erneut. Sariel drang in ihn ein, liebevoll berührten des Engels Hände Ians Rücken. Plötzlich legte sich der Engel über Ians Rücken und begann Ians Nacken zu küssen, seine Hände streichelten die schlanke Männer Taille und er besuchte Ian um ihn kurz darauf wieder zu verlassen. Außerhalb der Kapelle, peitschte der Regen, die Intensität der Donner, sowie die Anzahl der Blitze erreichten  ihren Höhepunkt. Auch dieses „Kommen und Gehen“ nahm an Rhythmus zu, bis sie beide, der Engel sowie der Mensch, gemeinsam den Zenit der Lust erklimmen durften. Sariel blieb über und in Ian, nachdem er sich in ihn ergossen hatte. Sie atmeten beide schwer. Der Seraphim wisperte an Ians Ohr: „Ich liebe dich! Ian, ich liebe dich ehrlich und aufrichtig!

“Das Unwetter fand ein jähes Ende und durch die Mosaik Fenster der kleinen Kapelle schienen feine Sonnenstrahlen und zauberten bunte Flecken auf den Boden der Kapelle. Der Seraphim erhob sich reckend und streckend. Ian rollte sich auf die Seite und betrachtete seinen Engel wohlwollend. Mit dem Kopf in die Handkuhle gestützt, fragte Ian: „Wie wird es jetzt weitergehen, Sariel?“ Etwas spöttisch verzog Sariel seine Mundwinkel, dann meinte er: „Ich werde meine Aufgabe vorübergehend abgeben und eines fernen Tages wenn du in die Ewigkeit eingehst, komme ich mit dir mit.“ Schockiert über Sariel’s vorschnelles Handeln, sprang Ian vom Altar auf und argumentierte: „Sariel, in der Welt der Menschen ist uns ein solches Zusammenleben nicht gestattet. Es gilt als Verbrechen.“ „Gut, dass du mich darauf hinweist, aber wir können es umsetzen. Ich wohne als Angestellter bei dir. Du übst weiter deine Tätigkeit als Tierarzt aus und ich mache den Leuchtturmwärter. Was zwischen uns geschieht muss ja keiner erfahren. Wann kannst du wieder in dein Eigenheim ziehen?“ „In wenigen Wochen“, Ian schritt auf Sariel zu und bevor er ihn küsste, sagte er, „bis dahin werden wir uns hier treffen!“

Und so geschah es, bis zum Einzug des neu errichteten Leuchtturmwärterhauses, trafen sich Sariel und Ian täglich in der Kapelle. Ian konnte es sich endlich eingestehen, dass er einen Mann, einen Engel liebte. Die Scham und seine vermeintliche Schande waren vergessen in den Armen seines Mannes. Am Tag der Einweihung des neuen Leuchtturms, das gesamte Dorf war anwesend, stellte Ian der Bevölkerung den neuen Leuchtturmwärter vor: „Ich möchte euch einen Mann vorstellen, der sehr viel besser über das Meer wachen kann als ich, Sariel Sky.“ Das Volk klatsche Beifall, als es ruhiger wurde erklärte Ian weiter: „Ich aber werde auch weiterhin für eure Tiere da sein, Tag und Nacht! Da ich einen würdigen Vertreter für den Leuchtturm habe, ist mir von nun an auch mehr Zeit bescholten aus Kräuter Arznei für euer Vieh zu brauen.“ Das Dorf fand Gefallen daran, denn der Verlust eines Tieres bedeutete ebenso Geldprobleme.

In den weiteren 60 Jahren ihrer Beziehung, lebten Sariel und Ian glücklich miteinander und in der Zwischenzeit störte sich die Dorfbevölkerung nicht mehr daran wenn Sariel und Ian Händchen haltend spazierten. Auch das Meer blieb ruhig, die ganzen 60 Jahre lang. An Winterabenden spielten sie zusammen Klavier und wenn einer der Menschen nicht gesund wurde, ging Sariel an das Krankenbett legte seine Hand auf die Stirn des Patienten und betete mit ihm. Kurz darauf gesundeten selbst dem Tode nahe Leute.

Als Ian seinen Leib verliess und nun Seele war, verlor auch Sariel sein Fleisch. Die beiden Seelen stiegen empor zur Ewigkeit und weil sie sich so sehr liebten verschmolzen sie zu einem Wesen.

© Nicole Maier/Rani Shahima