Dazumal vor langer, langer – sehr langer Zeit, die Erde war noch keine tausend Jahre alt, lebte eine junge Frau in der Abgeschiedenheit einer Oase. Ihr Name war Chrachminia und sie ist die Hüterin der „Wahrheit“ gewesen. Um Chrachminia Iebten zwar allerlei Geschöpfe, dennoch konnten diese nicht sprechen. Deshalb gab ihr ihre Herrin dereinst ein Drachenweibchen zur Wächterin und Freundin. Kisa hatte rosa und pastellgrüne Schuppen, ihre Augen hatten die Farbe von reifen Feigen. Jedoch hatte Kisa ein riesiges Problem – das Drachenweibchen konnte weder Feuer speien noch ein Lebewesen verspeisen, dafür ist Kisa in der Lage gewesen in die Zukunft zu sehen. Chrachminia erfrischte sich eben unter dem lauen Wasserfall, der sich in den Oasensee ergoss, als Kisa ihren Kopf hob. Das Drachenweibchen witterte irgendetwas oder jemand. „Was ist, Kisa?“ Fragte Chrachminia neugierig ihre Freundin, Kisa stellte ihre Ohren auf und erneut blähten sich ihre Nasenflügel: „Ein Fremder kommt und ich sah voraus, dass er die „Wahrheit“ findet.“ „Kannst du mich nicht retten, Kisa?“ Meinte naiv Chrachminia und die Drachendame antwortete ehrIich: ,,Tut mir Ieid, aber in meiner Vision wird er der Sieger sein und ich kann ihn noch nicht mal fressen, dabei sieht er eigentlich ganz appetitlich aus!“ Nachdem Chrachminia dies hörte verließ sie das herrliche Nass und ging in ihre Baumhütte. Dort trocknete sie sich und legte ihr bestes Gewand an. Unter ihrem feinen, weißen Gewand verbarg sie einen kupfernen Dolch, der am rechten Oberschenkel festgemacht war. Um ihre Taille band sie die Kordel, welche Chrachminia als Gürtel diente. An dieser Kordel baumelte nun links ein goldenes Schwert. So angewandet verließ Chrachminia die Baumhütte, um gemeinsam mit Kisa zum Oasenrand zu laufen. Der Fremde ist sicherlich noch einen Kilometer von der Oase entfernt gewesen, dennoch nahm er von der Distanz aus den Drachen und die Jungfrau wahr. Er musste grinsen, als er diesen süßen Drachen erblickte und sprach seinen Gedanken laut aus: „Und vor diesem Ungeheuer soll ich fliehen?“ Als der Fremde immer näher und näher kam erkannte er auch mehr von der zierlichen, schwarzhaarigen Gestalt, neben dem Drachen. „Vor dieser Frau soll ich zittern und das Weite suchen,“ dachte der Fremde, „das ist doch ein schlechter Scherz?“
Regungslos, mit verschränkten Armen stand Chrachminia da, selbst als der Wüstenwind mit ihrem Haar spielte ließ sie sich nicht aus der Fassung bringen. Stur, stark und stolz wirkte sie auf den Fremden, als dieser noch etwa fünf Schritte von ihr entfernt gewesen ist. „Was ist dein Begehr, Fremder?“ Wollte Chrachminia wissen und der Fremde antwortete, während er sich auf die Knie plumpsen ließ: „Die Wahrheit, Herrin!“ Forschend sah sie ihn an, ihr Blick fiel auf seinen Buckel, darum meinte Chrachminia: „Ich sehe du hast ein schweres Los mit deiner Gesundheit, aber für dieses Problem solltest du zum Erzengel Raphael gehen, er ist Heiler! Hier kann dir die Wahrheit nicht helfen, also kehre um, Fremder!“ Der im Sand Kniende erhob sich rasch und lief flink auf Chrachminia zu. Er ist zwei Köpfe größer als Chrachminia gewesen und nun blickte sie in seine Augen – das Blau des Meeres und um seine schwarze Pupille war ein goldner Reif, wie eine Corona bei einer Sonnenfinsternis. Der Fremde flehte: „Bitte Hüterin der Wahrheit, schenke mir wenigstens Gastfreundschaft bevor ich weiterziehe!“ Kisa warnte Chrachminia via Telepathie: ,,Er ist gefährlich für dich. Schick ihn in die Wüste, Herrin!“ „Lassen wir ihn eine Nacht schlafen und morgen soll er gestärkt weiterziehen, Kisa.“ „Was wenn er dir dein Leben rauben will, Chrachminia? lch kann ihn nicht fressen, das weißt du!“ „Kisa, du bist ein Drache, du hast genügend Kraft um aus ihm Brei zu machen sollte er mir die Kehle aufschlitzen!“ Damit beendete Chrachminia das telepathische Gespräch und wand sich freundlich an den Fremden: „Wie ist dein Name?“ Erneut verbeugte sich der Fremde: „Fasuh, Herrin.“ Die beleidigte Kisa war schon vorausgelaufen, nun drehte sich auch Chrachminia um, um zu gehen. „Fasuh komm!“ Rief Chrachminia über ihre Schulter hinweg.

Der Abend zog übers Land, deshalb entfachte Chrachminia ein Feuer, welches eingefriedet von Steinen keinen Oasenbrand auslöste. Kisa hatte zusammen mit ihrer Herrin den ganzen Nachmittag Früchte in der Oase gesammelt, welche jetzt über dem Feuer gegrillt wurden. Fasuh, der fremde Bucklige, lag den ganzen Nachmittag am Ufer des Oasensees und döste, nachdem er sich am frischen Wasser gelabt hatte. Kisa grollte und telepathierte Chrachminia ständig Warnungen zu, jedoch ignorierte Chrachminia die Unkenrufe ihrer Freundin. Fasuh und sie alberten und Iachten, dazwischen erzählte er von wo er herkam und wie man dort lebte. „So und du willst eines Tages zurück nach Sternenzelt?“ Erkundigte sich Chrachminia bei Fasuh, der nickte und erklärte: „Es ist doch unfair, das ich wegen meines Buckels nicht in meiner Heimat bleiben darf.“ ,,Ja, das ist es!“ bestätigte Chrachminia Fasuh. „Darum wollte ich die Wahrheit hier bei dir finden.“ Fasuh war nun ganz dicht an Chrachminias Gesicht – viel zu nah. Chrachminia hatte heimlich ihren Dolch vom rechten Oberschenkel gelöst und drückte die Spitze bedrohlich an Fasuhs Bauch. „Weiche Fasuh!“ Riet Chrachminia ihm, jedoch riskierte Fasuh eine Stichwunde, als seine Lippen Chrachminias Mund berührten. Erschrocken sprang Chrachminia auf und zog ihr Schwert. Heiß und kalt lief ihr der Schweiß den Rücken runter. Es verstörte sie was Fasuh getan hatte, auch wenn es sich nicht böse anfühlte. Fasuh krümmte sich kurz, doch dann stand er auf und Chrachminia konnte zusehen wie seine Wunde sich schloss. „Bleib wo du bist, Fasuh!“ Warnte ihn Chrachminia. Kisa hatte sich verkrochen, sobald die Drachendame auch nur eine Ahnung von Streit bekommt, zieht sie sich in ihre Höhle unter dem Wasserfall zurück. In Telepathie sagte Chrachminia zu Kisa: „Danke vielmals fürs nicht helfen! Du verdienst es nicht Drache zu heißen – du bist ein Angsthase!“
„Leg das Schwert weg, Chrachminia! Wofür dein Kampf, wenn ich am Ende doch bekomme, was ich will.“ Meinte provokativ Fasuh. Chrachminia holte zu einem Hieb aus, allerdings duckte sich Fasuh, damit behielt er seinen Kopf auf seinem Hals. Jetzt umklammerte seine Hand einen Stock, damit Fasuh sich verteidigen und Chrachminias Paraden attackieren konnte. Irgendwann war der Stock von Fasuh auf ein Minimum reduziert, denn jeder Schwerthieb verkleinerte das Holz. Fasuh drehte sich eben um, damit er sich eine neue Waffe suchen konnte, als Chrachminia ihn in den Buckel stach. Allerdings schrie Fasuh nicht auf vor Schmerz. Der Stoff, welcher den vermeintlichen Buckel verdeckte krachte auf. Im selben Moment drehte sich Fasuh zu Chrachminia und präsentierte sich in seiner ganzen Pracht. Er war ein Engel, der seine Flügel auf dem Rücken zusammen gebunden hatte. Chrachminia hatte noch immer ihr goldenes Schwert auf ihn gerichtet. Fasuhs Flügel blähten sich, dann nahm er einen kurzen Anlauf und schnappte Chrachminia vom Erdboden weg. Einsam und verlassen landete ihr Schwert im Sand. Kisa rannte so eben aus ihrer Höhle und starrte zornig dem Engel hinterher, der ihre Herrin geraubt hatte. Auf einmal kochte die Wut so sehr in ihrem Drachenkörper und zum ersten mal in ihrem sehr langen leben spie Kisa Feuer. Jedoch setzte sie ungewollt die Oase in Brand. Kisa jammerte und klagte.
Die Elegie von Kisa weckte Chrachminia aus ihrer Ohnmacht in des Engels Armen. Mit ihren Fäusten trommelte Chrachminia gegen seine breite Brust: „Verdammt noch mal, lass mich runter! Kisa ist in Gefahr!“ „So, du willst immer noch Befehle erteilen, Hüterin der Wahrheit!“ lronisierte Fasuh, verzweifelt grübelte Chrachminia wie sie ihrer Freundin helfen könnte. „Ich mache dir einen Vorschlag“, begann Chrachminia diplomatisch, „du sollst teilhaben an der Wahrheit, wie auch immer diese aussehen soll, dafür rettest du Kisa!“ Eine kleine Weile blieb es still, dann setzte Fasuh Chrachminia auf dem Mond ab und flog retour zu Erde. Alle Oasenbewohner, vom Kolibri bis zum kleinen Äffchen, ja sogar die Skarabäen, hatten sich vor der brennenden Oase versammelt und schauten mit tränenfeuchten Augen zu wie ihre Heimat von den Flammen gefressen wurde.
Fasuh sprach um Kisa fliegend: „Endlich kannst du Feuer spucken! Da muss man dir erst jemanden wegnehmen und dich traurig machen damit du zum Drachen wirst. Aber deine Kraft hilft auch beim Auspusten!“ „Ha“, machte Kisa, „du Räuber willst mich veräppeln?“ „Nein, Kisa, ich bin dein Schöpfer und darum weiß ich dass du den Brand auch zu löschen vermagst. Also puste!“ Verlangte Fasuh und Kisa tat wie ihr geheißen. Nach und nach gingen die Feuer aus und die Bewohner der Oase jubelten Kisa zu. Fasuh sah das sein Plan aufgegangen war, weshalb er nun zum Mond flog.
Chrachminia sah in einer Kristallkugel auf dem Mond, was auf der Erde geschah. Ein Stein löste sich von ihrem Herzen als sie sah, wie Kisa auf Anraten von Fasuh die Oase Iöschte. Plötzlich erschrak Chrachminia, denn in der Stille des Universums vernahm sie hinter sich Schritte. Fasuh! Er setzte sich ihr gegenüber und beide sahen sich einfach nur Minutenlang an. Vorsichtig näherten sich Fasuhs Lippen den Chrachminias und diesmal ließ sie es geschehen. Fern ab von ihrer Aufgabe und ihren Freunden in der Oase, entdeckte sie eine andere Seite ihres Seins. Kaum wahrnehmbar berührten Fasuhs Hände, sowie seine weichen Lippen ihre Haut. In der Unendlichkeit des Raums, durfte Chrachminia ihre Empfindungen für alle Ewigkeit spüren. Und als sich beide in ihrer Emotion verloren, sind sie zur höchsten Macht im Universum fusioniert. Sie sind Yin und Yang, Gut und Böse.

Ende

© Nicole Maier/Rani Shahima

Quelle:

Malerin: Sabrina Imstepf; Bildtitel: „Kristalliner Xoxotl“